Hermann Paul - Leben und
Wirken
"Der Prophet gilt nichts in seinem Vaterlande."
Dieses Sprichwort gilt seit langer Zeit nicht mehr für
Magdeburg und Hermann Paul, unternimmt doch das Institut für Germanistik einige
Anstrengungen, diesen leider viel zu wenig bekannten Sohn der Stadt wieder ins
Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken.
Hermann Otto Theodor Paul wurde am 7. August 1846 im kleinen,
heute längst eingemeindeten Dörfchen Salbke vor den Toren Magdeburgs geboren.
Er stammt aus einfachen Verhältnissen. Nach dem Besuch der Dorfschule wechselte
er 1859 an das Pädagogium "Unser Lieben Frauen" nach Magdeburg, wo er
zu Michaelis 1866 das Abitur ablegte.
Ursprünglich galt sein Interesse dem mathematischen. Dies änderte
sich, weil zum Wintersemester 1866 zog er nach Berlin, um an der dort
ansesesigen Universität Philologie zu studieren. Dort hielt es ihn aber
nicht lange aus; bereits zum Sommersemester 1867 wechselte er nach Leipzig, wo
er 1870 mit einer Dissertation "Über die ursprüngliche Anordnung von
Freidanks Bescheidenheit" promovierte und sich zwei Jahre später, im
Oktober 1872, mit einer Schrift "Zur kritik und erklärung von Gottfrieds
Tristan" habilitiert.
1874 erhält er einen Ruf an die Universität Freiburg als außerordentlicher
Professor für deutsche Sprache und Literatur. Dort wird er im März 1877 zum
ordentlichen Professor ernannt. Ostern 1893 folgt er dem Ruf auf eine
ordentliche Professur für deutsche Philologie an die Universität München.
1909 wird er Rektor der Universität. 1905 ,im alter von 59 Jahren,
Heiratete harmann paul sehr spät.
Schon seit 1863 litt er an einer Augenerkrankung, was dazu führte,
daß er ab 1916 von der Verpflichtung entbunden wurde, Vorlesungen zu halten.
Die letzte Zeit seines Lebens verlebte er beinahe erblindet
und ist bei der Fortführung seiner Arbeit auf Helfer angewiesen.
Hermann Paul war kein gewöhnlicher Germanist. Schon ein Jahr
nach seiner Habilitation erscheint das erste Heft seiner gemeinsam mit Wilhelm
Braune herausgegebenen - und bis heute unter der Sigel PBB (Paul und Braunes
Beiträge) - geführten Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und
Literatur, einer Zeitschrift, in der in den 70er und 80er Jahren des 19.
Jahrhunderts einige der bedeutendsten Aufsätze zur germanischen Laut- und
Formenlehre veröffentlicht wurden. In den achtziger Jahren des 19. Jahrhunderts
wandte sich Paul verstärkt der Gegenwartssprache zu und führte die
Sprachgeschichtsschreibung an die Sprache seiner Zeit heran.
V.a. durch die historisch-semantische Konzeption seiner
Prinzipien der Sprachgeschichte (1880) und die lexikographische Arbeit am
Deutschen Wörterbuch (1897) greift er unübersehbar in die Entwicklung der
Sprachwissenschaft seiner Zeit ein, indem er eine systematische Bedeutungslehre
der deutschen Sprache entwirft.
Die Sprachwissenschaft betrachtet er nicht als isolierte,
"reine" Lehre, sondern versucht, sie zusammen mit der
Geschichtswissenschaft zu einem nützlichen Instrument der Kulturforschung zu
machen. "Ich betrachte es als eine Hauptaufgabe der geschichtlichen
Forschung, daß sie die Kulturwerte [...] vor dem Untergange schützt und
dieselben da, wo sie schon in der Gegenwart entschwunden sind, zu neuem Leben
erweckt" (Paul 1920).
Auch als Hochschullehrer leistet Paul Beachtliches. So setzt
er sich als Rektor der Münchener Universität dafür ein, den Anteil von
Seminaren und Übungen - ähnlich wie in der Medizin und den Naturwissenschaften
- auch in den geisteswissenschaftlichen Studiengängen zu erhöhen, um die
Selbsttätigkeit der Studierenden zu befördern. Als er es wagt zu kritisieren,
dass für die Zulassung von Theologiestudenten zum Studium geringere
Anforderungen als an andere Studierende gestellt werden, kommt es zum Krach. Die
Theologieprofessoren und ihre Studenten wollen den Saal verlassen und werden nur
durch verschlossene Türen daran gehindert zu gehen.
Hermann Pauls Arbeiten gehören auch heute noch zu den
Standardwerken der Germanistik. Sie erleben immer neue Auflagen und
Neubearbeitungen, sind in viele Sprachen übersetzt und hochgeachtet. Paul
selbst blieb stets sehr bescheiden. Als er, der Rektor der Münchener Universität,
von einer Münchener Zeitung aufgefordert wurde, einen autobiographischen
Artikel für das Blatt zu verfassen, lehnte er am 19. Dezember 1912 mit
folgenden Worten ab: "Meine Person ist ja in München so gut wie unbekannt,
und meine Tätigkeit steht in keiner Beziehung zu den besonderen Verhältnissen
der Stadt."
Seine Wichtigsten Werke:
-
Gab es eine mittelhochdeutsche Schriftsprache? Halle
1873.
-
"Die Vocale der Flexions- und Ableitungssilben in
den ältesten germanischen Dialecten". In: Beiträge zur Geschichte der
deutschen Sprache und Literatur 4. 1877, S. 314-475.
-
Untersuchungen über den germanischen Vocalismus. Halle
1879.
-
Principien der Sprachgeschichte. Halle 1880. (10. Aufl.
1995)
-
Mittelhochdeutsche Grammatik. Halle 1881. (5. Aufl. 1900)
-
"Beiträge zur Geschichte der Lautentwicklung und
Formenassociation. II: Vokaldehnung und Vokalverkürzung im
Neuhochdeutschen". In: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache
und Literatur 9. 1884, S. 101-134.
-
Grundriss der Germanischen Philologie. Bd. 1.2,
Strassburg 1891-1893.
-
"Ueber die Aufgaben der wissenschaftlichen
Lexikographie mit besonderer Rücksicht auf das deutsche Wörterbuch".
In: Sitzungsberichte der philos.-philol. Klasse der Bayerischen Akademie der
Wissenschaften. Heft 1. 1894, S. 53-91.
-
Deutsches Wörterbuch. Halle 1897. (9. Aufl. 1992)
-
"Die Bedeutung der deutschen Philologie für das
Leben der Gegenwart. In: Beilage zur Allgemeinen Zeitung München, Nr. 258
vom 15.11.1909. München 1909.
-
Gedanken über das Universitätsstudium. Rede beim
Antritt des Rektorats der Ludwig-Maximilians-Universität, gehalten am
11.12.1909. München 1909.
-
Deutsche Grammatik. Bde. 1-5. Halle 1916-1920.
-
Aufgabe und Methode der Geschichtswissenschaften. Berlin
und Leipzig 1920.
-
Über Sprachunterricht. Halle 1921.
Neueste Literatur zu Hermann Paul:
-
Germanistik als Kulturwissenschaft: Hermann Paul - 150.
Geburtstag und 100 Jahre Deutsches Wörterbuch. Erinnerungsblätter und
Notizen zu Leben und Werk, hg. von Armin Burkhardt und Helmut Henne, anläßlich
der Ausstellung in Magdeburg (21.1.1997) und Braunschweig (4.2.-11.2.1997).
Braunschweig: Ars & Scienta, 1997.
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