Wie Eulenspiegel in Magdeburg verkündete, vom Rathauserker fliegen zu
wollen
Bald nach der Zeit, als Eulenspiegel ein Küster gewesen war, kam er in die
Stadt Magdeburg und vollführte dort viele Streiche. Davon wurde sein Name so
bekannt, dass man von Eulenspiegel allerhand zu erzählen wusste. Die
angesehensten Bürger der Stadt baten ihn, er solle etwas Abenteuerliches und
Gauklerisches treiben. Da sagte er, er wolle das tun und auf das Rathaus steigen
und vom Erker herab fliegen.
Nun erhob sich ein Geschrei in der ganzen Stadt. Jung und alt versammelten
sich auf dem Markt und wollten sehen, wie er flog. Eulenspiegel stand auf dem
Erker des Rathauses, bewegte die Arme und gebärdete sich, als ob er fliegen
wolle. Die Leute standen, rissen Augen und Mäuler auf und meinten tatsächlich, dass er fliegen würde. Da begann Eulenspiegel zu lachen und rief: »Ich meinte,
es gäbe keinen Toren oder Narren in der Welt außer mir. Nun sehe ich aber, dass
hier die ganze Stadt voller Toren ist. Und wenn ihr mir alle sagtet, dass ihr
fliegen wolltet, ich glaubte es nicht. Aber ihr glaubt mir, einem Toren! Wie
sollte ich fliegen können? Ich bin doch weder Gans noch Vogel! Auch habe ich
keine Fittiche und ohne Fittiche oder Federn kann niemand fliegen. Nun seht ihr
wohl, dass es erlogen ist.« Damit kehrte er sich um, lief vom Erker und ließ
das Volk stehen. Die einen fluchten, die anderen lachten und sagten: »Ist er
auch ein Schalksnarr, so hat er dennoch wahr gesprochen!«
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Wie Eulenspiegel in der Ostermesse ein
Spiel machte, dass sich der Pfarrer und seine Haushälterin mit den Bauern
rauften und schlugen.
Als Ostern nahte, sagte der Pfarrer zu seinem Küster Eulenspiegel: »Es ist
hier Sitte, dass die Bauern jeweils in der Osternacht ein Osterspiel aufführen,
wie unser Herr aus dem Grabe aufersteht.« Dazu müsse er helfen, denn es sei
Brauch, dass die Küster es zurichten und leiten. Da dachte Eulenspiegel: Wie
soll das Marienspiel vor sich gehen mit den Bauern? Und er sprach zu dem
Pfarrer: »Es ist doch kein Bauer hier, der gelehrt ist. Ihr müsst mir Eure
Magd dazu leihen. Die kann schreiben und lesen.« Der Pfarrer sagte: »Ja, ja,
nimm nur dazu, wer dir helfen kann, es sei Weib oder Mann, auch ist meine Magd
schon mehrmals dabei gewesen.« Der Haushälterin war das lieb, sie wollte der
Engel im Grabe sein, denn sie konnte den Spruch dazu auswendig. Da suchte
Eulenspiegel zwei Bauern und nahm sie mit sich. Er und sie wollten die drei
Marien sein. Und Eulenspiegel lehrte den einen Bauern seine Verse auf
lateinisch. Der Pfarrer war unser Herrgott und sollte aus dem Grabe auferstehen.
Als Eulenspiegel mit seinen zwei Bauern vor das Grab kam - sie waren als
Marien angezogen -, sprach die Haushälterin als Engel im Grab ihren Spruch
auf lateinisch: »Quem quaeritis? Wen suchet Ihr hier?« Da sprach der eine
Bauer - die vorderste Marie -, wie ihn Eulenspiegel gelehrt hatte: »Wir
suchen eine alte, einäugige Pfaffenhure.« Als die Magd hörte, dass sie ihres
einen Auges wegen verspottet wurde, ward sie giftig und zornig auf Eulenspiegel,
sprang aus dem Grab und wollte ihm mit den Fäusten ins Gesicht hauen. Sie
schlug aufs Geratewohl zu und traf den einen Bauern, so dass ihm ein Auge
anschwoll. Als das der andere Bauer sah, schlug auch er mit der Faust drein und
traf die Haushälterin an den Kopf, dass ihr die Flügel abfielen. Da das der
Pfarrer sah, ließ er die Fahne fallen und kam seiner Magd zu Hilfe. Er fiel dem
einen Bauern ins Haar und raufte sich mit ihm vor dem Grabe. Als das die anderen
Bauern sahen, liefen sie hinzu und es entstand ein großes Geschrei. Der Pfaffe
mit der Köchin lagen unten, die beiden Bauern, die die Marien spielten, lagen
auch unten, sodass die Bauern sie auseinander ziehen mussten.
Eulenspiegel aber hatte die Gelegenheit wahrgenommen und sich rechtzeitig
davongemacht. Er lief aus der Kirche hinaus, ging aus dem Dorf und kam nicht
wieder. Gott weiß, wo sie einen anderen Küster hernahmen!
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Wie Eulenspiegel sich für einen Arzt
ausgab und des Bischofs von Magdeburg Doktor behandelte, der von ihm betrogen
wurde.
In Magdeburg war ein Bischof namens Bruno, ein Graf von Querfurt. Der hörte
von Eulenspiegels Streichen und ließ ihn nach Schloß Giebichenstein kommen.
Dem Bischof gefielen Eulenspiegels Schwänke sehr, und er gab ihm Kleider und
Geld. Auch die Diener mochten ihn gar wohl leiden und trieben viel Kurzweil mit
ihm.
Nun hatte der Bischof einen Doktor bei sich, der sich sehr gelehrt und weise
dünkte. Aber des Bischofs Hofgesinde war ihm nicht wohlgesinnt. Dieser Doktor
hatte nicht gerne Narren um sich. Deshalb sprach der Doktor zum Bischof und zu
seinen Räten: »Man soll weisen Leuten an der Herren Höfe Aufenthalt geben und
aus mancherlei Gründen nicht solchen Narren.« Die Ritter und das Hofgesinde
erklärten dazu, die Ansicht des Doktors sei nicht richtig. Wer Eulenspiegels
Torheiten nicht hören möchte, der könne ja weggehen; niemand sei zu ihm
gezwungen. Der Doktor entgegnete: »Narren zu Narren und Weise zu Weisen! Hätten
die Fürsten weise Leute bei sich, so stünde ihnen die Weisheit immer vor
Augen. Wenn sie Narren bei sich halten, so lernen sie Narretei.« Da sprachen
etliche: »Wer sind die Weisen, die weise zu sein glauben? Man findet ihrer
viele, die von Narren betrogen worden sind. Es ziemt sich für Fürsten und
Herren wohl, allerlei Volk an ihren Höfen zu halten. Denn mit Toren vertreiben
sie mancherlei Phantasterei, und wo Herren sind, wollen die Narren auch gern
sein.« Also kamen die Ritter und die Hofleute zu Eulenspiegel und legten es
darauf an, daß er einen Plan machte. Sie baten ihn, er möge sich einen Streich
ausdenken, und wollten ihm, ebenso wie der Bischof, dabei helfen. Dem Doktor
solle sein Weisheitsdünkel vergolten werden, wie er gehört habe. Eulenspiegel
sprach: »Ja, ihr Edlen und Ritter, wenn ihr mir dabei helfen wollt, soll es dem
Doktor heimgezahlt werden.« So wurden sie sich einig.
Da zog Eulenspiegel vier Wochen lang über Land und überlegte, wie er mit
dem Doktor umgehen wollte. Bald hatte er etwas gefunden und kam wieder zum
Giebichenstein. Er verkleidete sich und gab sich als Arzt aus, denn der Doktor
bei dem Bischof war oft krank und nahm viele Arzneien. Die Ritter sagten dem
Doktor des Bischofs, ein Doktor der Medizin sei gekommen; der sei vieler Arzneikünste
kundig. Der Doktor erkannte Eulenspiegel nicht und ging zu ihm in seine
Herberge. Schon nach kurzer Unterhaltung nahm er ihn mit sich auf die Burg. Sie
kamen miteinander ins Gespräch, und der Doktor sagte zum Arzt: »Könnt Ihr mir
helfen von meiner Krankheit, so will ich es Euch wohl lohnen.« Eulenspiegel
antwortete ihm mit Worten, wie sie die Ärzte in solchen Fällen zu sagen
pflegen. Er gab vor, er müsse eine Nacht bei ihm liegen, damit er desto besser
feststellen könne, wie er von Natur geartet sei. »Denn ich möchte Euch gern
etwas geben, bevor Ihr schlafen geht, damit Ihr davon schwitzt. Am Schweiß
werde ich merken, was Eure Krankheit ist.« Der Doktor ging mit Eulenspiegel zu
Bett und meinte, alles, was ihm Eulenspiegel gesagt hatte, sei wahr.
Eulenspiegel gab dem Doktor ein scharfes Abführmitte1 ein. Der glaubte, er
solle davon schwitzen, und wußte nicht, daß es zum Abführen war. Eulenspiegel
nahm ein Steingefäß und tat einen Haufen seines Kotes hinein. Und er stellte
den Topf mit dem Dreck zwischen die Wand und den Doktor auf die Bettkante. Der
Doktor lag an der Wand, und Eulenspiegel lag vorn im Bett. Der Doktor hatte sich
gegen die Wand gekehrt. Da stank ihm der Dreck im Topf in die Nase, so daß er
sich umwenden musste zu Eulenspiegel. Sobald sich der Doktor aber zu
Eulenspiegel gekehrt hatte, ließ dieser einen lautlosen Furz, der sehr übel
stank. Da drehte sich der Doktor wieder um, und der Dreck aus dem Topf stank ihn
wieder an. So trieb es Eulenspiegel mit dem Doktor fast die halbe Nacht.
Dann wirkte das Abführmittel und trieb so scharf, schnell und stark, daß
sich der Doktor ganz verunreinigte und ekelhaft stank. Da sprach Eulenspiegel
zum Doktor: »Wie nun, würdiger Doktor? Euer Schweiß hat schon lange
abscheulich gestunken. Wie kommt es, daß Ihr solchen Schweiß schwitzt? Er
stinkt sehr übel!« Der Doktor lag und dachte: das rieche ich auch! Und er war
des Gestankes so voll geworden, daß er kaum reden konnte. Eulenspiegel sprach:
»Liegt nur still! Ich will gehen und ein Licht holen, damit ich sehen kann, wie
es um Euch steht.« Als sich Eulenspiegel aufrichtete, ließ er noch einen
starken Furz schleichen und sagte: »O weh, mir wird auch schon ganz schwach;
das habe ich von Eurer Krankheit und von Eurem Gestank bekommen.« Der Doktor
lag und war so krank, daß er sein Haupt kaum aufrichten konnte, und dankte dem
allmächtigen Gott, daß der Arzt von ihm ging. jetzt bekam er ein wenig Luft.
Denn wenn der Doktor in der Nacht aufstehen wollte, hatte ihn Eulenspiegel
festgehalten, so daß er sich nicht aufrichten konnte, und gesagt, vorher müsse
er erst genügend schwitzen.
Als Eulenspiegel aufgestanden und aus der Kammer gegangen war, lief er hinweg
von der Burg.
Indessen wurde es Tag. Da sah der Doktor den Topf an der Wand stehen mit dem
Dreck. Und er war so krank, daß sein Gesicht vom Gestank ganz angegriffen
aussah. Die Ritter und Hofleute sahen den Doktor und boten ihm einen guten
Morgen. Der Doktor redete ganz schwächlich, konnte ihnen kaum antworten und
legte sich in den Saal auf eine Bank und ein Kissen. Da holten die Hofleute den
Bischof hinzu und fragten den Doktor, wie es ihm mit dem Arzt ergangen sei. Der
Doktor antwortete: »Ich bin von einem Schalk überrumpelt worden. Ich wähnte,
es sei ein Doktor der Medizin, doch es ist ein Doktor der Betrügerei.« Und er
erzählte ihnen alles, wie es ihm ergangen war.
Da begannen der Bischof und alle Hofleute sehr zu lachen und sprachen:
»Es
ist ganz nach Euern Worten geschehen. Ihr sagtet, man solle sich nicht um Narren
kümmern, denn der Weise würde töricht bei Toren. Aber Ihr seht, daß einer
wohl durch Narren klug gemacht wird. Denn der Arzt ist Eulenspiegel gewesen. Den
habt Ihr nicht erkannt und habt ihm geglaubt; von dem seid Ihr betrogen worden.
Aber wir, die wir uns mit seiner Narrheit abgaben, kannten ihn wohl. Wir mochten
Euch aber nicht warnen, zumal Ihr gar so klug sein wolltet. Niemand ist so
weise, daß er nicht auch Toren kennen sollte. Und wenn nirgendwo ein Narr wäre,
woran sollte man dann die Weisen erkennen?« Da schwieg der Doktor still und
wagte nicht mehr zu klagen.
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